Urs FüsslerPotsdamer Vortrag: das Carambole-PrinzipMagazin B → ( « .., 20. Dia, .. » )

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Inzwischen ist es vielleicht notwendig, einen Einschub mit Erläuterungen zur Form dieser Projektvorstellung unterzubringen. Wie weit können mathematische Formeln, die Farbigkeit von Filmen italienischer Meisteregisseure und Luftaufnahmen von Berlin mit Zeichnungen und Postkartenbilder ein städtebauliches Projekt vermitteln?
Das Projekt selbst war nicht darauf ausgelegt, sich nicht auf die klassischen architektonischen Darstellungsformen wie Grundriss, Schnitte, Perspektiven zu beschränken, sondern Ziel war, durch die narrative Form unterschiedlicher Mittel eine Dichte zu produzieren, die die Möglichkeiten einer Zeichnung oder eines Modells noch erweitern. Nicht zuletzt auch aufgrund der Annahme, dass wesentliche Aspekte des Entwurfs, die uns beschäftigten, sich mit den konventionellen Mitteln nicht gut genug vermitteln liessen.
Und wenn ich so weit gegangen bin zu behaupten, dass es ein gutes Mittel zu einer Bewertung von Architektur und Städtebau sei, sich mit der Frage zu beschäftigen, was für Geschichten man sich vor Ort, für diese Orte, ausdenken kann, auch das ein eigenes Thema, so wollten wir in unserem Projekt zu einem Hilfsmittel greifen, mit dem sich nicht nur diese These ein Stück weit verifizieren liesse, sondern das auch schon die Phase des Entwurfsprozesses mitprägen sollte.
So ist die Beschreibung des Projekts, die heute gekürzt wiedergegeben wird, selbst Teil des Projekts. Das Projekt wird nicht aus unserer Perspektive beschreiben, sondern aus der Perspektive eines isländischen Filmregisseurs, der irgendwann im Jahre 2019 nach Berlin kommt, sich da festfrisst an den Orten, die Leipziger Strasse beschreibt und gleichzeitig seine eigene Fiktion, seinen Film, den er da dreht, umschreibt vor Ort, neue Orte erfindet, die es noch gar nicht geben kann. Er fertigt ein Notizbuch, ein Arbeitsbuch an, aus dem wir zitieren.
Das ist kompliziert, soll hier auch gar nicht in der vollen Breite ausgewalzt werden, es geht ja um das architektonische Projekt, das da noch untergejubelt wurde, aber so lässt sich das Spektrum der hier gezeigten Bilder erklären.
Zurück zu dem Filmstills mit Richard Harris und Monica Vitti. Ich wiederhole, hier geht es um Farben. Wir haben keine farbigen Architekturpläne angefertigt, sondern auf Referenzen einer Farbigkeit verwiesen. Dazu ein erstes Beispiel einer Reihe von Textfragmenten, die wir verfasst und dem imaginierten Regisseur untergeschoben haben:

16. Juli 15.
Ein guter Tag, an dem ich mich mit der Architektin über Farbe unterhalten habe.
Damit ist sie offenbar bekannt geworden: mit den Farben. Sie erzählt aus Japan, und freut sich, dass es ihr, seit sie hier arbeitet und baut, gelungen sei, die Stadt an mehreren Orten zu färben.
Michelangelo Antonionis ersten Farbfilm kannte sie tatsächlich, aber Sie hätte beim Entwerfen der Bauten an der Leipziger Strasse nicht an den Film gedacht: il deserto rosso.

Wir haben also eine japanische Architektin, die hier im Ausland arbeitet, erfunden. Sie ist die Architektin des architektonischen Projektes. Ich fahre fort mit dem Text:

Die neuen Gebäude sind aus einem bleimennige-farbenen Kunststein, rostrot, roh, grob.
Verschiedene Sonnenschutzoberflächen (digitale Polarisationsfilter, mechanische Schiebeläden und Vorhänge), sind in stumpfem Blau und Blaugrau, Grün und Grüngelb gehalten.
Alle Einbauten, Fensterrahmen, Türen, Verkleidungen, sind gestrichen: in verschiedenen Orange- und Brauntönen.

So kann man sich das ungefähr vorstellen. Entsprechend der Farbigkeit einer Reihe von Screenshots aus dem Film.
Ein zweites Beispiel. Ich sprach schon vom Motodrom. Dazu zitiere ich das folgende Textfragment:

Taxifahrer.
Jeden Tag bewegt sich eine endlose Schlange von Taxis mal schneller und mal langsamer um das Feld der Leipziger Strasse herum. Ich glaube einige von ihnen verlassen die grosse Schlaufe nie. Es gibt viele Leute, die auf der Südseite einsteigen und auf der Nordseite wieder aussteigen, oder umgekehrt. Dabei geht das nicht besonders schnell, einmal habe ich dafür eine halbe Stunde gebraucht.
Nachts aber, wenn die Strasse kaum befahren wird, scheinen manche Fahrer die freie Bahn endlich zu nutzen, um Anlauf für die Fahrt in andere Bezirke der Stadt zu nehmen. Ich beobachte dann aus meinem Fenster, wie sie aus ihrer Parklücke herausschwenken, langsam Geschwindigkeit aufnehmen, die grünen Ampeln an den Überquerungen der Landstrasse abpassen, immer mehr beschleunigen, zwei oder drei Runden nehmen und in Richtung Spittelmarkt nach Osten lospreschen. Bis früh in den Morgen höre ich oft die Motorengeräusche.

Im Arbeitsbuch des Regisseurs finden sich weitere kurze Aufzeichnungen in dieser Art.
So wird ein Text verwendet, um eine einfache Zeichnung, in diesem Fall die eines Motodroms, gewissermassen auszumalen.

Das nächste Dia.

Film: Il Deserto Rosso von Michelangelo Antonioni
Texte: © Urs Füssler, Isabel Heyden